Plattenbaumuseum „Betonzeitschiene“

Pflege der Baukultur: das Plattenbaumuseum „Betonzeitschiene“

Das micromuseum für Plattenbau „Betonzeitschiene“ in Dresden-Johannstadt war ein prozessuales „Kunst-im-urbanen-Raum-Projekt“, das Ruairí O’Brien von 2002 bis 2005 konzeptuell entwickelt und verwirklicht hat. Das micromuseum thematisierte verschiedene Zeitfenster der Ortsgeschichte, ebenso wie universelle und künftige Entwicklungen und fand große Beachtung in der Presse und Öffentlichkeit. Die Betonzeitschiene beschrieb in chronologischer Reihenfolge die Entwicklung ihres Standortes des ehemaligen Plattenwerkes, entlang einer Zeitschiene aus Betonplatten. Der Besucher konnte sich selbständig durch die jüngere städtebauliche Geschichte Dresdens und die bautechnologische Geschichte des Modulbaus / Plattenbaus begehen und diese anhand der vielen Fragmente erleben.

„Betonzeitschiene“ ist ein Kunstbegriff von Ruairí O’Brien, der Bezug nimmt auf die kurze Formbarkeit und anschließende dauerhafte Eigenschaft von Beton. Er spielt bewusst mit den Stärken und Schwächen von Beton und zieht metaphorisch parallelen zur Politik und Gesellschaft. Beton ist nur kurze Zeit formbar, aber das Resultat beständig, analog einer Handlung, die man in kurzer Zeit vollführt, deren Ergebnis aber bleibt, während die Zeit weiterläuft. Die Gesellschaft in der wir leben ist immer nur für kurze Zeit formbar. Von der bürgerlichen Gesellschaft und jedem Einzelnen ist deshalb aktives Tun gefragt, um zu verhindern, dass negative Einflüsse die Formgebung bestimmen.


Die Betonzeitschiene – ein Ort mit Geschichte

2001 wurde im Herzen der Dresdner Siedlung Johannstadt eine stillgelegte Betonfabrik abgerissen. Noch bis 1990 wurden hier Fertigteile des normierten Wohnungsbaus gegossen, anfangs sogar aus den Trümmern der zerbombten Stadt. Nach dem Abriss entstand ein riesiges Brachland, das Anwohnern lediglich durch seine Unattraktivität auffiel.

Doch Ruairi O’Brien erkannte das Potenzial des Geländes und gründete 2002 das weltweit erste Plattenbaumuseum „Betonzeitschiene“. Gemeinsam mit Werner Ehrlich (Kulturamt Dresden) und anderen begeisterten Helfern rettete O’Brien typische Bauelemente wie Außenwandplatten, Stahlrahmen und bunte Fließen vor der Verschrottung. Diese Elemente arrangierte der Architekt in einem Parcours, welcher sich entlang von Dreieckssegmenten erstreckt und von der einstigen Pförtnerloge des Areals unterbrochen wird. Das Häuschen bildet mit einer Peitschenlampe und einer LKW-Waage als Originalexponate den Kern des Areals. Auf einem Pfad aus neu gefertigten Betonplatten und Informationsstelen bewegt man sich durch die Geschichte der ehemaligen Fabrik. Der Weg führt schließlich zum Eingang des „Einheitsgartens“, hinter welchen sich ein überraschendes Dickicht erstreckt.

Durch seine Arbeit als urbaner Künstler schuf Ruairi O’Brien eine ansprechende Verknüpfung zur Geschichte. Er betitelte sein Plattenbaumuseum als „Betonzeitschiene“.
2007 wurde das Gelände nach Vertragsauslauf des Eigentümers geräumt.

 

Die Bürger und IHRE „Betonzeitschiene“

Die „Betonzeitschiene“ wurde von den Anwohnern begeistert aufgenommen und entwickelte sich nach kurzer Zeit zu einem soziokulturellen Treffpunkt im Viertel. Als Bestandteil einer lebendigen Stadtstruktur bietet das micromuseum neben Bildungs- und Identifikationsmöglichkeiten auch eine Plattform für Diskussion über das Prinzip sozialistischer Plattenbauten. Geschichtsinteressierte bildeten sich bei einem Besuch weiter, andere organisierten Filmabende auf dem Grundstück. Die vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten der Betonzeitschiene zeigten Jedem neue Aspekte des vergangenen oder gegenwärtigen Miteinanders auf. 


Die „Betonzeitschiene“ als Kunststätte

Das Gelände der „Betonzeitschiene“ bot Raum für zahlreiche Kunstinstallationen O’Briens. Des Weiteren inszenierte der Künstler das Schauspiel “Day and Night” mit dem russischen Soloperformer und Tänzer Alexei Merkuschev im Plattenbaumuseum. Sowohl eine Mittags- als auch eine Nachtperformance wurden präsentiert, bei welcher Feuer, Wasser und Spiegel eine besondere Rolle spielten.


Der Kampf um die „Betonzeitschiene“

Das Museum befand sich auf einem Randstreifen eines 5 Hektar großen Grundstücks einer Berliner Immobilienfirma, die mit der Stadt Dresden einen bis 2005 befristeten Nutzungsvertrag abschloss. Nach dessen Auslaufen brachten die Verhandlungen über eine Verlängerung kein Ergebnis, so dass der Grundstückseigentümer das Gelände im August 2007 räumen ließ. Seither werden die Museumsteile auf einem benachbarten städtischen Grundstück für eine spätere Verwendung zwischengelagert. Bemühungen um eine Wiedereinrichtung des Museums im Jahr 2008 scheiterten zunächst.